Change Fatigue ist Quatsch

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Basierend auf der Culture Bites Podcast Episode 051 Change fatigue is bulls**t von Consultant Darren Levy and Dominic Gourley von Human Synergistics Neuseeland, geschrieben von Christine Scussel, Human Synergistics InterConnext GmbH

Change Fatigue, also eine gewisse Veränderungsmüdigkeit, ist in letzter Zeit ein häufig beschriebenes Phänomen. Aber ist es wirklich die Veränderung, die Menschen ermüdet oder gibt es andere Faktoren, die für eine Ermüdung verantwortlich sind? Und, wie kann man dem entgegenwirken? Darren Levy und Dominic Gourley haben sich auf die Suche nach Antworten gemacht.

Veränderung – warum eigentlich?

Mit Veränderungen am Arbeitsplatz ist es genau wie mit Veränderungen in anderen Lebensbereichen. Ein Szenario: Ich will fit werden und melde mich im Fitnessstudio an. Das Problem: Es bereitet mir keine Freude, ins Fitnessstudio zu gehen. Das Ergebnis: Ich ermüde, habe keine Lust und gehe nicht mehr hin – und verfehle somit mein Ziel. Wir halten also fest, dass es nicht die Veränderung, oder Change Initiativen selbst sind, die uns ermüden lassen, sondern die Art und Weise wie Change häufig in Unternehmen betrieben wird.

In den meisten Unternehmen hat es sie schon gegeben – die Change Initiativen, mal mehr von Erfolg gekrönt, mal weniger. Damit sie erfolgreich werden, müssen wir uns für diese oft aufwändigen Projekte unbedingt den Motivator menschlichen Handelns ins Boot holen: Das Gefühl, dass ich durch mein Handeln etwas bewirken kann. Im Umkehrschluss ist ja Nichts demotivierender, als alles zu geben, nur um dann herauszufinden, dass man aufgrund von mäßig umgesetztem Change-Management nichts bewirken konnte. Daraus lernt der Mensch für die Zukunft: Ich lege mich einmal ins Zeug und vielleicht auch noch ein Zweites. Danach werde ich es mir aber gründlich überlegen, wenn mein Einsatz keine Früchte getragen hat. Und das betrifft nicht nur den Einzelnen. In einem sehr ungünstigen Fall stimmen die Mitarbeiter eines Unternehmens irgendwann überein und stellen gemeinschaftlich fest: Veränderung funktioniert bei uns einfach nicht. Je mehr Präzedenzfälle es gibt, desto sicherer ist man sich.

Typische Fallstricke im Veränderungsprozess – und passende Lösungsansätze

Was sind also typische Fallstricke im Change-Management und wie können wir ihnen entgegenwirken?

  1. Wir betreiben Veränderung „mal so eben nebenbei“ und machen zu viel gleichzeitig. Frage: Wie gut gelingen Ihnen Dinge, die Sie „mal eben so nebenbei“ erledigen? Wir reden hier von großen und komplexen Veränderung, die Raum, Fokus und auch Ressourcen brauchen um richtig gut zu werden. Ein bewusster Abschluss und eine abschließende Reflexion nach dem Projekt sind essenziell, damit man im Nachhinein für das nächste Projekt lernen kann.
  2. Wir verstehen nicht warum wir eine Veränderung tragen sollen. Ein absolutes Muss in jeder Veränderung ist zu verstehen warum ich mich, mein Verhalten oder meine Arbeit verändern soll. Spreadsheets und KPI-Berichte führen diese Motivation leider nur sehr selten herbei. Es bleibt die Frage offen, was hat das mit mir zu tun? Diese wichtige Frage ist im Vorfeld unbedingt zu klären und zwar so, dass sie Emotionen in den Beteiligten hervorruft.
  3. Die von der Veränderung Betroffenen werden nicht in die Planung mit einbezogen. Ein Klassiker ist hier die Vorgabe eines unrealistischen Zeitplans. Die Kommunikation muss in Schleifen laufen, um immer wieder zu überprüfen, ob Ziele erreicht werden, oder ob der Plan abgeändert werden muss. Im Setzen von realistischen Zielen müssen die Mitarbeiter/-innen gecoacht werden – sonst können auch deren eigene Planungen mitunter übermäßig optimistisch ausfallen. Klare Zeitpläne und Ziele können dem Change Prozess ein Wenig von der Unsicherheit zu nehmen, die zweifelsohne mit derartigen Prozessen einhergeht. Wer macht wann und was? Was ist unser Ziel, wie sollen wir Dinge tun und woran können wir erkennen, dass wir etwas erreicht haben? Letzteres wird häufig vorausgesetzt, ist aber keinesfalls immer so klar.
  4. So wichtig wie das Anpassen von Zielen und Zeitplänen ist aber auch, dass wir nicht mitten in der Initiative plötzlich das Ziel vollkommen verschieben. Wir müssen uns schon die Chance geben, Ziele zu erreichen – und dies gemeinsam mit allen Beteiligten zu feiern! Dies ist ein enormer Motivations-und Energieschub.
  5. Die Kommunikation wird nicht aufrechterhalten. Am Anfang einer Change Initiative wird noch häufig darüber gesprochen, aber dann wird sie zum Alltag… und wenn man die Menschen in der Organisation nach der Initiative fragt, weiß niemand mehr, was der Stand der Dinge ist. Daher ist ein regelmäßiges Update sehr wichtig – denn hier werden oft tatsächlich keine Misserfolge unter den Teppich gekehrt – sondern Erfolge nicht gesehen und die Energie diese freisetzen wird nicht genutzt. In puncto Kommunikation muss auch darauf geachtet werden, dass man sie nicht mit Informationsaustausch gleichsetzt. Mit dem Austausch von Informationen nur eine kleine Komponente abgedeckt – Kommunikation erfolgt aber auch genauso, um zu inspirieren, zu bewegen und neue Energie in den Prozess zu bringen.
  6. Es besteht keine Klarheit darüber, wer an der Initiative beteiligt ist. Bevor man beginnt, sollte man sich einen Überblick darüber verschaffen, wer für das Projekt wichtig ist, wer als Sponsor auftritt, wer sich das Ganze anschauen wird und jubelt, wenn es gut läuft und sich zurückhält, wenn es das nicht tut und, wer ganz klar Widerstand leisten wird. Für das Change Team ist es wichtig, genug Personen mit dem entsprechenden Standing und der Expertise, sowie Einfluss zu gewinnen; Sponsoren, die nicht unbedingt die Arbeit machen, sondern im übertragenen Sinne „Steine aus dem Weg räumen“, die sich im Laufe der Zeit zeigen können. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf ein diverses Team gelegt werden, in dem nicht jeder nur nickt, sondern Standpunkte kritisch aber sehr Konstruktiv hinterfragt und diskutiert werden.
  7. Ungeduld und zu schnell zu viel wollen. Die Vision sollte stehen und ein genereller Plan gemacht sein, bevor man sich ins Handeln stürzt. Statt in Aktionismus zu verfallen sollte man sich klarmachen, dass das Richtige zur richtigen Zeit getan werden muss. Dies wäre auch ein guter Zeitpunkt um noch einmal hervorzuheben Warum sich etwas ändern soll. Darüber hinaus sollte man immer wieder kurz pausieren, um sich zu fragen, ob etwas wirklich funktioniert, an welchen Stellschrauben noch gedreht werden kann. Fehler sollte man möglichst schnell und in kleinem Rahmen machen, da sie so gut behoben werden können.

Wie können wir Sie in der Umsetzung Ihrer nächsten Change Initiative unterstützen? Kontaktieren Sie uns gern unter info@humansynergistics.deWir freuen uns auf ein Gespräch mit Ihnen! 


 

Culture Crash: Der Fall gegen Boeing – Ein Worst-Case-Beispiel für eine Defensive Unternehmenskultur

Von Jan Niklas Klenke

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Filmempfehlung: Basierend auf der Netflix Dokumentation “Downfall” – The Case against Boeing (2022). Geschrieben von Jan Niklas Klenke, Human Synergistics InterConnext GmbH

Am 29. Oktober 2018 stürzte der Lion Air Flug 610 kurz nach dem Start in Jakarta in die Javasee wodurch alle 189 Passagiere an Bord der Boeing 737 Max getötet wurden. Da der Name Boeing lange Zeit mit Sicherheit in Verbindung gebracht wurde, waren sich die Verantwortlichen des Unternehmens sicher, dass die Piloten und die Fluggesellschaft Schuld an der Katastrophe trugen. Unzureichende Ausbildung und Erfahrung gehörten zu den beliebtesten Rechtfertigungen, die sich als besonders rufschädigend für Lion Air, und schmerzlich für die Familien der Opfer erwiesen. Obwohl die Blackbox einen technischen Fehler aufzeigte, behauptete Dennis Muilenburg, der Vorstandsvorsitzende der Boeing Company im Jahr 2018, die Boeing 737 Max sei sicher gewesen und es habe keine Notwendigkeit bestanden, das Flugzeug am Boden zu lassen. Nur fünf Monate später stürzte eine weitere 737 Max in Äthiopien ab, wobei alle 157 Passagiere ums Leben kamen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Untersuchungen intensiviert, um mehr Klarheit in die Umstände zu bringen. Bei der Untersuchung des zweiten Absturzes gab Boeing erneut den Piloten die Schuld, weil sie die Anweisungen nicht befolgt hätten. Auch hier konnte ein technischer Fehler festgestellt werden, der zu dem Absturz geführt hatte. In beiden Fällen wurde der Absturz durch eine Fehlfunktion einer neu installierten Flugsteuerungsfunktion, bekannt als MCAS (Manoeuvring Characteristics Augmentation System), verursacht. Die Gründe erscheinen somit auf den ersten Blick technischer Natur zu sein, doch die wahre Ursache, nicht nur für die Fehlfunktion, sondern auch für den weiteren Einsatz der Boeing 737 Max Maschinen, ist tief in den Organisationsstrukturen, der Kultur und den Prioritäten der Beteiligten zu finden. Die Dokumentation „Absturz – Der Fall gegen Boeing“ (zu streamen auf Netflix) beschreibt detailliert, wie die Unternehmenskultur bei diesen beiden Tragödien eine ausschlaggebende Rolle spielte.

Eine Organisationskultur umfasst die gemeinsamen Werte, Normen und Erwartungen, die bestimmen, wie Menschen ihre Arbeit angehen und miteinander interagieren. Sie ist der „Schlüssel zum Erzielen nachhaltiger Ergebnisse“ (Kuppler, 2015), da die Kultur die Methoden darstellt, mit denen die Organisationsmitglieder arbeiten, um diese Ergebnisse zu erbringen. Daher ist es von großer Bedeutung, kontinuierlich Konstruktive kulturelle Normen zu entwickeln und zu fördern, die positiv mit Sicherheit, Leistung (einschließlich finanzieller Leistung), Qualität, Teamarbeit, externer Anpassungsfähigkeit, Motivation und reduziertem Stressniveau korrelieren. Es gibt viele Faktoren, einschließlich der Führung, die einen wichtigen Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Bestimmte Ereignisse wie z.B. eine Fusion mit einem anderen Unternehmen kann für die Entwicklung der Unternehmenskultur eine entscheidende Bedeutung haben, wie das Beispiel Boeing zeigt.

Der Auslöser für die kulturellen Veränderungen bei Boeing geht auf eine klassische Fusionssituation (M&A) im Jahr 1997 zurück (Van Etten & Stout, 2020). Vor der Übernahme von McDonnell Douglas im Jahr 1997 waren die Boeing-Ingenieure, die zu den Mitbegründern des Unternehmens gehörten, stolz auf ihre von einem starken Sicherheitsbewusstsein geprägte Arbeit. Sie hatten ein Mitspracherecht im Unternehmen und nutzten es, um ihre hohen Qualitätsstandards aufrecht zu erhalten und die besten und sichersten Flugzeuge der Welt zu produzieren. Die Kultur war Konstruktiv und von Enthusiasmus, Wertschätzung und Fleiß der Mitarbeiter geprägt. Im Zuge der Fusion prallten jedoch zwei grundverschiedene Kulturen aufeinander, was die Moral langfristig einbrechen ließ. Die neuen Führungskräfte konzentrierten sich mehr auf finanzielle Aspekte und Kostenreduzierung, statt auf eine qualitativ hochwertige Produktion. Infolgedessen erhielt die Gewinnmaximierung im Rahmen der Führungsprioritäten Vorrang vor der Sicherheit, was zu einer Neugestaltung der bisherigen Organisationsstruktur und der Unternehmenskultur von Boeing führte. Dementsprechend nahm die Unzufriedenheit mit der nach oben gerichteten Kommunikation im Laufe der Jahre stetig zu: Die Ingenieure fühlten sich ihrer Stimme beraubt, da die Führungskräfte ihrem Fachwissen keine Beachtung und ihren Anliegen kein Gehör mehr schenkten. Die Zahl der Sicherheitsbeauftragten wurde von fünfzehn auf nur noch einen pro Schicht reduziert, was dazu führte, dass Mängel – absichtlich oder unabsichtlich – übersehen wurden. Nach Ansicht von Human Synergistics leidet diese Organisation an einem „Kultur-Bypass“, d.h. an einem Prozess, bei dem die Motivation für (in diesem Fall) Profit die ursprünglichen Werte (für Qualität und Sicherheit) der Organisation zu ersetzen beginnt.

Als Hauptfolge der Fusion begann Boeing, die Prioritäten von der Qualität auf die Quantität zu verlagern, da das Hauptziel nun darin bestand, den Aktienwert des Unternehmens zu steigern – koste es, was es wolle. In den Jahren nach der Fusion wurde daher die 737 Max mit größeren, treibstoffeffizienteren Triebwerken ausgestattet, um die Kosten weiter zu senken. Eine Veränderung, die dazu führte, dass das Flugzeug dazu neigte, seine Nase nach oben zu drücken. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, entwickelte Boeing das MCAS-System, um die Nase des Flugzeugs wieder nach unten zu ziehen, und somit einen Strömungsabriss zu vermeiden. Ein Fehler in diesem neuen System könnte jedoch tödliche Folgen haben. Bei beiden Abstürzen versagte das MCAS-System, wodurch die Nase derart weit abgesenkt wurde, dass die Maschinen nicht mehr zu retten waren. Die Untersuchungen ergaben nicht nur, dass das fehlerhafte System die Abstürze verursachte, sondern auch, dass das fehlerhafte System eine Folge von Boeings neuer Kultur war.

Als sich die Prioritäten der Führung änderten, wurde der Qualität wesentlich weniger Bedeutung beigemessen. Dieser Wertewandel wird den Mitarbeitern indirekt über Faktoren vermittelt, die als Organisationsklima bekannt sind. In diesem Fall waren besonders „Zielsetzung“ und “Zielfokus“ betroffen. Die Ziele veränderten sich und konzentrierten sich nun eher auf die finanzielle Leistung und die Kostensenkung als auf die Ziele im Zusammenhang mit Qualität und Sicherheit. Es sind diese Klimafaktoren, die den Mitarbeitern signalisieren, wie sie ihre Arbeit am besten angehen sollten. Daher beeinflusst das Klima die Kultur und wirkt sich auf sie aus. Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich das Klima auf die Kultur auswirkt, betrifft in diesem Fall die Kommunikation, da sich die Prioritäten auf der Führungsebene zunehmend auf Gewinn und Kosteneinsparungen konzentrierten. Die Kommunikation von oben nach unten wies eine geringere Gewichtung der Qualität auf, lieferte immer weniger nützliche Informationen über die gewünschten Qualitätsstandards und auch die Kommunikation nach oben begann sich zu verändern. Da die Produktqualität nur noch einen geringeren Wert hatte, waren Führung und Management weniger offen für das Feedback der Mitarbeiter zu bestehenden Mängeln, Risiken oder möglichen Folgen. Diese Art der Kommunikation sendet eine sehr starke Botschaft an die Mitarbeiter, wie sie ihre Arbeit angehen sollen (Kultur), was dazu führt, dass die Mitarbeiter nicht mehr das Wort ergreifen, um Sicherheitsbedenken zu äußern und sich weniger auf Qualitätsziele konzentrieren. Defensive Verhaltensnormen beginnen sich innerhalb der Kultur durchzusetzen, da die Mitglieder zu glauben beginnen, dass sie ihre Bedenken zurückhalten, Fehler vertuschen und Verantwortung abwälzen/vermeiden müssen, da Konstruktives Verhalten nicht mehr geschätzt oder positiv anerkannt wird.

Während des Prozesses gegen Boeing kamen die größten Enthüllungen aus dem Unternehmen selbst, durch interne Mitteilungen, E-Mails und Dokumente, aus denen hervorging, dass Boeing Mitarbeiter schon lange vor den beiden Abstürzen von dem Katastrophenpotenzial wussten. Wie wir heute wissen, wurden die Piloten der Fluggesellschaften nie über die neue MCAS-Funktion informiert, obwohl Boeing wusste, dass die Piloten eine Schulung für deren Einsatz benötigen würden. Aus der Veröffentlichung der internen Mitteilung ging sogar hervor, dass Boeing das Ziel verfolgte, zusätzliche Schulungen zu vermeiden – obwohl sie als notwendig erachtet wurden -, da die Piloten mehr als zwei Schulungstage benötigt hätten, was für das Unternehmen aus finanzieller Sicht „inakzeptabel“ gewesen wäre. Daher versprach Boeing seinen Kunden, dass für das Fliegen der neuen 737 Max kein zusätzliches Training im Simulator erforderlich sein würde. Man beschloss, die neue Funktion systematisch vor der FAA (Federal Aviation Administration) zu verbergen, da die Behörde auf eine zusätzliche Schulung der Piloten bestanden hätte, wenn sie das Ausmaß der Systemänderungen gekannt hätte. Jahrelang kam Boeing damit durch und verkaufte in den Folgejahren mehr als 5.000 737 Max, was den Aktienwert explodieren ließ.

Die Piloten des Lion-Air-Flugs 610 kannten das MCAS-System nicht und wussten nicht, wie es funktioniert. Kurz nach dem Start löste das System (aufgrund eines Fehlers) einen Alarm aus, und MCAS übernahm die Kontrolle über das Flugzeug, das somit die Nase senkte und in einen unaufhaltsamen Sturzflug überging. Wie sich später herausstellte, hatten die Piloten nach dem Auslösen des Alarms maximal 10 Sekunden Zeit, um das Flugzeug vor dem Absturz zu retten. Nach Ansicht von Experten sind 10 Sekunden eine extrem kurze Reaktionszeit, selbst wenn die Piloten von dem MCAS gewusst hätten. Im Rahmen ihrer Untersuchung bewertete die FAA das Risiko, das mit dem Fliegen der 737 Max einherging, mit dem schockierenden Ergebnis, dass alle zwei Jahre ein Flugzeug abstürzen würde. Boeing war sich dieser Zahl bewusst, entschied sich aber dennoch, das Modell weiterhin zu nutzen. Das Unternehmen beschloss, sich auf sein Glück zu verlassen und zu hoffen, dass sich das Problem nicht wiederholen würde, um Gewinne zu sichern, anstatt sich auf Qualität und Produktsicherheit zu konzentrieren. Wettbewerbsdenken statt Leistungsdenken führten zu der zweiten Katastrophe, die hätte verhindert werden können.
Die durchgesickerten Mitteilungen enthüllten außerdem, dass Boeing-Ingenieure drei Jahre vor dem ersten Absturz eine Warnung herausgegeben hatten, dass das Flugzeug mit dem installierten MCAS-System anfällig für Sensorausfälle sei und, dass Piloten nur etwa vier Sekunden hätten, um eine MCAS-Fehlfunktion zu erkennen, und zehn Sekunden, um sie zu korrigieren. Auch nach dem zweiten Absturz beschloss Boeing, die Schuld für die Nichtbefolgung der Anweisungen weiterhin den Piloten zuzuschieben (ein sehr Defensiver Ansatz, der durch die neue Kultur gefördert wurde), nur um eine weiße Weste zu behalten und das Vertrauen der Aktionäre nicht zu verlieren. Beim zweiten Flugzeugabsturz wussten die Piloten über das System Bescheid, deaktivierten es aber nicht, obwohl sie die Anweisungen von Boeing befolgt hatten. Sie wurden nicht darüber informiert, dass sie lediglich zehn Sekunden Zeit haben würden, um das Protokoll abzuschließen. Daraufhin haben Länder in der ganzen Welt die 737 Max verboten.

Laut den Ingenieuren, die bereits 2015 vor MCAS gewarnt hatten, hat ihnen nie jemand geantwortet (Klimafaktor), was sie veranlasste, ihre Rolle und Position im Unternehmen in Frage zu stellen. Die Unternehmenskultur war so Defensiv, dass es für niemanden möglich war, „Nein“ zu den Forderungen der Führungsebene zu sagen. Die Mitarbeiter wurden dazu ermutigt, einfach „zu tun, was man ihnen sagt“. Die Interessen der Vorstandsmitglieder und Aktionäre wurden über die Interessen der Belegschaft, der Produkte, der Piloten und der Fluggäste gestellt. Diese Tatsache zeigte sich auch in anderen Mitteilungen, die intern zwischen den Mitgliedern des Unternehmens verschickt wurden. Insbesondere der Ton und die Sprache dieser Nachrichten würden in einer Konstruktiven Kultur als unangemessen und höchst respektlos gelten, insbesondere wenn es um wichtige Themen wie die Sicherheit der Flugzeuge ging. So erfahren wir, dass die Kultur so Defensiv und die Ansichten und Meinungen der Mitglieder übereinander so negativ waren, dass sie die 737 Max als “von Clowns entworfen“ und „…von Affen beaufsichtigt“ beschrieben. Obwohl viele um die Gefahren wussten, entwickelte sich eine Kultur, in der wenig getan werden konnte, um die Kernprobleme zu lösen. Dies führte zu Aussagen wie „Würdest du deine Familie in ein im Max-Simulator trainiertes Flugzeug setzen? Ich würde es nicht tun“ oder „Dieses Flugzeug ist lächerlich“, die in den Jahren vor dem ersten Absturz unter Boeing-Mitarbeitern ausgetauscht wurden (Internal Boeing Communication, 2020). Die folgende Chat-Nachricht fasst den Kampf zusammen, den Boeing-Mitarbeiter mit ihrer Kultur des Beschuldigens, Vermeidens und Ignorierens geführt haben: „Ich habe die Nase voll von den Besprechungen mit unzähligen Managern, die keine Ahnung vom Zustand des Simulators oder von den Problemen haben, die auftreten werden. Jeder investiert mehr Zeit darin, anderen die Schuld zu geben, als das Problem tatsächlich zu beheben.“ (Internal Boeing Communication, 2020). Nach dem Absturz wurde Lion Air von Boeing als „Idioten“ bezeichnet, die die Katastrophe wegen „ihrer eigenen Dummheit“ zu verantworten hätten (Internal Boeing Communication, 2020). Wenn eine Diskrepanz zwischen der aktuellen Kultur und den idealen Werten eines Unternehmens besteht, ist es in der Regel notwendig, mit den leitenden Angestellten zusammenzuarbeiten, um einen Wandel herbeizuführen und die Kultur in Richtung Konstruktiverer Normen zu verschieben. Aufgrund ihres Einflusses und ihrer Verantwortung haben Führungskräfte durch ihre Entscheidungen, Handlungen und Strategien, einen erheblichen Einfluss auf die Organisationskultur. Eine Führungskraft, die Aggressive/Defensives Verhalten zeigt, neigt dazu, andere zu dominieren und zu kontrollieren, Konflikte zu schüren und eine durch Negativismus, Zynismus, Sarkasmus und Kritik geprägte Kommunikation zu schaffen. Darüber hinaus sind die Orientierung an langfristigen Zielen und die Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit des Unternehmens eher schwach ausgeprägt. Führungskräfte kommunizieren und verhalten sich oft auch in eben dieser Defensiven Art und Weise wodurch sie ihre Mitarbeiter dazu ermutigen, dieses Verhalten ebenfalls anzunehmen (Vorbildfunktion), sich eher Passiv/Defensiv, wie oben beschrieben zu verhalten, also Bedenken/Ideen nicht zu äußern, den Status quo aufrechtzuerhalten und sich nicht zu Wort zu melden, wenn Qualitätsprobleme bekannt sind.
Im Fall von Boeing hätte eine Zusammenarbeit mit dem Führungsteam, um die Auswirkungen der Fusion in Bezug auf gemeinsame Werte und die Führungsmentalität zu bewerten und die gewünschten Auswirkungen zu definieren, eine Verschiebung der Werte von Sicherheit zu Profit verhindern können.

Schließlich wurde die 737 Max für 20 Monate aus dem Verkehr gezogen und mit einem überarbeiteten MCAS-System wieder auf den Markt gebracht. Zur Beilegung der von der FAA erhobenen strafrechtlichen Anklagen wegen Verschwörung und Betrugs musste Boeing mehr als 2,5 Mrd. USD zahlen. Darüber hinaus hat das Unternehmen seit dem ersten Absturz bis heute Folgekosten in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar zu tragen. Dies ist oft das wahre Ergebnis, wenn man den Profit vor die Unternehmenswerte stellt und die Normen einer Defensiven Kultur gedeihen lässt. Eine Simulatorausbildung für alle Piloten der 737 Max hätte rund 5 Milliarden Dollar gekostet und langfristig Milliarden gespart – und 346 Menschenleben gerettet. Der ehemalige CEO Muilenburg erhielt nach seiner Entlassung mehr als 62 Millionen Dollar in Form von Aktien- und Pensionszahlungen.

Was lernen wir von Boeing?
Der Dokumentarfilm, der derzeit auf Netflix ausgestrahlt wird, zeigt, wozu eine toxische Unternehmenskultur führen kann. Die Kultur bei Boeing hat sich nach der Fusion mit McDonnell Douglas und nach der Übernahme des Managements von McDonnell Douglas im Jahr 1997 drastisch verändert. Eine Zeit lang war das Unternehmen trotz einer zunehmend Defensiven Kultur und dank externer Faktoren (Nachfrage, Ressourcen usw.) in finanzieller Hinsicht „erfolgreich“ (oder schien es zumindest zu sein). Seitdem haben die Effektivität und die Produktqualität unter einer Kultur gelitten, die von Defensiven Tendenzen und stark ausgeprägtem Oppositionsverhalten gekennzeichnet ist. Darüber hinaus kann die Priorisierung des Profits und des „Je mehr, desto besser“-Denkens über Qualität, Sicherheit und Mitarbeiterzufriedenheit oft nach hinten losgehen und langfristig zu noch höheren Kosten führen. Ein derart drastischer Weckruf in Form des Verlusts von Menschenleben ist natürlich nicht die Regel, aber wir lernen, dass Defensives Verhalten niemals zu einem nachhaltigen und gesunden Arbeitsumfeld führen kann. Der Einsatz von OCI® in Verbindung mit OEI® hätte Boeing geholfen, das Gesamtbild der gegenwärtigen Situation zu verstehen, indem die Auswirkungen spezifischer Faktoren – in Bezug auf Systeme, Führung, Kommunikation, Arbeitsgestaltung usw. – auf die Qualität der Produkte, die Effektivität, das Wohlbefinden innerhalb der Belegschaft, die Motivation und das Stressniveau der Mitarbeiter ermittelt worden wären. Um diese Probleme zu beheben, muss Führungskräften dabei geholfen werden, eine ideale Kultur zu erschaffen in der sie als Vorbilder vorangehen können. Human Synergistics‘ Leadership/Impact® kann verwendet werden, um Führungskräften ein genaues Verständnis ihres Einflusses auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter und die Kultur der Organisation zu vermitteln. Der erste Schritt bei jeder Veränderungsinitiative besteht jedoch darin, die Notwendigkeit eines Konstruktiven Wandels zu akzeptieren. Ein paar Jahre vor dem ersten Absturz sagte ein Mitarbeiter: „Manchmal müssen große Dinge erst scheitern, bevor ein jeder das Problem erkennen kann“ (Interne Boeing-Kommunikation, 2020).


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Unternehmenskultur – Entstehung, Bedeutung, Erhebung und Entwicklung.

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Dieser Artikel basiert auf einer Präsentation, die Karl F. Meier-Gantenbein von Gantenbein Consulting in 2021 gehalten hat. Klicken Sie hier, um die ganze Präsentation zu sehen.


Was ist Kultur?

Jede Handlung hat ihren Moment des Erkennens, und dieses Erkennen basiert wiederum auf Wahrnehmung. Die Wahrnehmung einer Situation ist keinesfalls objektiv, sondern Menschen nehmen basierend auf ihren eigenen, zumeist unbewussten „Filtern“ wahr. Diese sind erlernt und werden generell angewendet, oder sind abhängig von der aktuellen Situation. Dies kann individuell, aber auch in einer Gruppe beobachtet werden. Kultur entsteht somit durch das gemeinsame Ausprägen systemspezifischer Filter und ihrer Verfeinerung. Dabei wirkt Kultur für sich selbst als Verstärker der schon hervorgebrachten Phänomene. Menschen, die sich in einer Kultur befinden, hinterfragen gewisse Annahmen oft nicht. Somit wird die Kultur zu einem gemeinsamen Verständnis, wie Dinge ablaufen oder getan werden sollten.

Die Unternehmenskultur kann als Unterbegriff der Alltagskultur gesehen werden, die wiederum einen Teil der immateriellen Kultur darstellt. Hierunter fallen die gemeinsamen gelebten Werthaltungen der Organisation, die „Summe aller Selbstverständlichkeiten“ und die gemeinsam getroffene Annahmen auf die sich das Verhalten im Alltag stützt, sowie herausgebildete Verhaltensnormen und Erwartungen, um in die Organisation zu passen.

Warum lohnt sich der bewusste Umgang mit der Unternehmenskultur?

Kultur bestimmt den täglichen Umgang miteinander im Unternehmen und auch die Einstellung zum geschäftlichen Aktivitäten selbst, was unbewusst geschieht, aber dennoch von den Beteiligten wahrgenommen werden kann. Herr Meier-Gantenbein zieht zur möglichen Messung der Organisationskultur die Messinstrumente OCI® von Human Synergistics hinzu. Somit können kulturelle Phänomene sichtbar und besprechbar gemacht werden. Aber die Betrachtung der Kultur geschieht natürlich selten zum Selbstzweck. Die Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass es Zusammenhänge zwischen bestimmten Unternehmenskulturen und bestimmten Resultaten der Organisation gibt. Eine Studie, die Herr Meier-Gantenbein für seinen Vortrag heranzieht wurde im Jahr 2021 von Heidrich Consulting durchgeführt. Sie folgte der Frage, ob es Unternehmen gibt, die die Gestaltung und die Entwicklung der Unternehmenskultur zu den drei wichtigsten Treibern für den unternehmerischen Erfolg zählen und, ob sich diese von der Kultur getriebenen Unternehmen damit in ihrer Performance von anderen Unternehmen abheben.

Dazu wurden in einem Zeitraum von 3 Jahren 500 Unternehmen befragt und das Ergebnis spricht klare Worte: Die kulturbewussten Unternehmen erreichten in dem Zeitraum ein Wachstum von 9,1%, während die anderen Unternehmen es auf einen Durchschnitt von 4,4% brachten. Auch die starke Relevanz der Haltung der obersten Führungsetage wurde von den Autoren der Studie hervorgehoben, denn „je intensiver CEOs kulturelle Aspekte konsequent in die Organisation tragen, desto besser kann sich deren finanzielle Leistungsfähigkeit entwickeln“. Eine weitere Studie, die eine signifikant positive Korrelation zwischen den Konstruktiven Verhaltensnormen und dem Unternehmenserfolg (speziell den Einnahmen/Verkäufen) belegt, stammt von Dr. Robert A. Cooke aus dem Jahr 2004. Diese Studie zeigt auch auf, dass eher volatile Ergebnisse erzielt werden, wenn die Aggressiv/Defensiven Verhaltensnormen vorherrschen.

Wie Unternehmenskultur entsteht

Jeder Mensch kann theoretisch mit seinem Verhalten Einfluss auf die Kultur einer Organisation nehmen. Stärkere Ausprägungen in der Unternehmenskultur von bestimmten Verhaltensstilen entstehen allerdings erst, wenn mehrere Personen diese bevorzugt zeigen, und sich somit verallgemeinerte Regeln des Verhaltens und dazu passende Erwartungen entwickeln. Von Seiten der Organisation wirken wiederum Faktoren, wie Anforderungen und Ressourcen, auf die Kultur ein. Der Kreis mit Rückschluss auf das Verhalten von Einzelnen schließt sich, wenn die Mitarbeiter im Rahmen einer Kulturanalyse Fragen gestellt werden, wie „wovon sollten wir in Zukunft mehr tun?“ und „was sollten wir in Zukunft nicht mehr tun?“ Eine genaue Darstellung der Wirkungsweise der Unternehmenskultur bietet das interaktive How Culture Works-Modell, das Sie anschaulich dargestellt auf unserer Internetseite betrachten können.

Herr Meier-Gantenbein hebt in seinem Vortrag hervor, dass es verschiedene Szenarien in der Umsetzung der Unternehmenskultur gibt. Einerseits kann die Ist-Kultur in einem Unternehmen im Einklang sein mit seinen Werten, seiner Philosophie und seinen Zielen. In diesem Fall stimmt die Ist-Kultur auch mit den Konstruktiven Normen überein, die in der Soll-Kultur zum Ausdruck gebracht werden. Das Ergebnis ist hier nicht nur eine hohe Zufriedenheit in der gesamten Belegschaft, sondern auch durchgängig gute Ergebnisse. Sie die zum Ausdruck gebrachten Werten nicht im Einklang mit dem gelebten Verhalten, wir auch die Ist-Kultur von der gewünschten Soll-Kultur abweichen. Das führt wiederum zu Ergebnissen, die nicht gut sind oder aber zu guten Ergebnissen zu einem hohen Preis.

Kulturanalyse oder Kulturentwicklung?

Die Kulturanalyse ist essenziell für das Aufdecken und Verständnis von Zusammenhängen. Die Bereitschaft einer Belegschaft zur Veränderung wird hier ebenfalls gefördert. Nachteilig wäre der monetäre und zeitliche Aufwand hier zu erwähnen. Die Kulturentwicklung hat in erster Linie zum Ziel, ein Ziel für die Kultur zu definieren, sowie Veränderungshebel zu identifizieren. Es wird eine Klarheit darüber erreicht, welche Richtung man einschlagen, was man häufiger und was weniger häufig tun sollte. Eine Kulturanalyse ist damit ein wichtiger Startpunkt, um die Ausgangslage für sämtliche Entwicklungsmaßnahmen zu bilden.

Schlussworte – Die wichtigsten Zutaten für die erfolgreiche Kulturentwicklung eines Unternehmens           

Die Schlussworte von Herrn Meier-Gantenbein fassen äußerst treffen zusammen, was es zum erfolgreichen Wandel alles braucht: Ein gutes Gespür, gute Tools und einen langen Atem.

Sind Sie bereit für eine Veränderung Ihrer Kultur oder wollen Sie einem Kunden dabei helfen? Kontaktieren Sie uns unter info@humansynergistics.de

 

 

Psychological Safety in der Kultur einer Organisation

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Der Begriff Psychological Safety wurde erstmals von den Organisationsforschern Schein und Bennis in den 1960er Jahren erforscht1. Damals wurde er definiert als ein „Gruppenphänomen, das das zwischenmenschliche Risiko“ und die „Angst einer Person, grundsätzlich akzeptiert zu werden und wertvoll zu sein“, verringert. Seit dieser historischen Definition haben neuere Forschungsarbeiten, insbesondere von William A. Khan in den 1990er Jahren2 und von Amy C. Edmondson3, die Bedeutung des Konzepts der Psychological Safety untermauert.

Warum sollte man das Konzept der Psychlogical Safety genauer betrachten?

Wenn Sie eine Organisation schaffen wollen, in der ausgezeichnet zusammengearbeitet wird, in der Mitarbeiter engagiert und persönlich zufrieden sind, in der man aus Erfahrungen lernt, Probleme auf kreative Weise gelöst werden, sich Mitarbeiter nicht scheuen, ihre Meinung zu sagen, und in der Projekte mit einer hohen Erfolgsquote abgeschlossen werden, dann ist psychologische Sicherheit ein wichtiger Bestandteil, der in die Organisationskultur integriert werden muss. Sie trägt zu all diesen Faktoren bei, und haben wir schon erwähnt, dass es deutlich weniger Fälle von Stress und Burnout gibt, wenn die psychologische Sicherheit hoch ist?

Lässt sich Psychological Safety messen? Und wenn ja, wie?

Psychological Safety ist ein Konzept, das durch Fragen wie „Wird Ihnen ein Fehler in Ihrem Team zum Vorwurf gemacht?“, „Können Sie Probleme und schwierige Themen ansprechen?“, „Passiert es, dass Teammitglieder abgelehnt werden, weil sie anders sind?“ oder „Ist es sicher, auch mal ein Risiko einzugehen?“ sichtbar gemacht werden kann.

Nehmen wir das How Culture Works-Modell von Human Synergistics (folgen Sie bitte diesem Link, wenn Sie nicht damit vertraut sind, um einige Hintergrundinformationen zu erhalten) als Rahmen, um zu untersuchen, wo Psychological Safety am Werk ist. Wir wollen zunächst die Frage beantworten, ob es sich um einen Klimafaktor handelt, der die Kultur einer Organisation beeinflusst, oder ob sie vielleicht ein Synonym für die Organisationskultur ist, oder ob sie ein Resultat der Kultur einer Organisation darstellt. In Anlehnung an die Definition von Psychological Safety als „die Möglichkeit, sich selbst zu zeigen und einzusetzen, ohne negative Folgen für das Selbstbild, den Status oder die Karriere befürchten zu müssen“ (Khan, 1990), würden wir sie als Teil des psychologischen Wohlbefindens einer Person in den Bereich der Resultate einordnen.

Eine dieser Fragen zu den Resultaten wird seit den 1980er Jahren im OCI® von Human Synergistics gestellt: „Inwieweit müssen Sie anders denken, um in die Organisation zu passen“ – ein Maß für die soziale Anpassung als Frage zu den Resultaten von Einzelpersonen. Wir stellen einige Standardfragen zu den Resultaten auf der Ebene von Einzelpersonen, Teams und der Organisation als Ganzes. Faktoren auf der Ebene der Organisation beeinflussen in der Regel sowohl Einzelpersonen als auch Teams in der Organisation, wie sie zusammenarbeiten, Probleme lösen und Aufgaben erledigen. Diese Muster beeinflussen wiederum auch die Organisation, z. B. in Bezug auf die Fähigkeit, sich an veränderte Kundenbedürfnisse anzupassen.

Unser Ansatz ermöglicht es uns auch, Ihnen einen Einblick in die Korrelation zwischen Ihrer Kultur und den Resultaten Ihrer Organisation zu geben. Die Verhaltensstile des blauen Konstruktiven Clusters stehen in einem positiven Zusammenhang damit, dass die Menschen es als sicher empfinden, ihre Meinung am Arbeitsplatz zu äußern (was ein Aspekt von Psychological Safety ist). Das bedeutet, dass wir Konstruktive Verhaltensweisen fördern müssen, wenn wir wollen, dass unsere Mitarbeiter ihre Gedanken offen äußern. Im Gegensatz dazu ist die Korrelation zwischen den Passiv/Defensiven und Aggressiv/Defensiven Verhaltensweisen und dem Grad der psychologischen Sicherheit in einer Organisation negativ. Das heißt, je stärker die defensiven, sicherheitsorientierten Stile in der Kultur einer Organisation ausgeprägt sind, desto weniger sicher wird es von den Mitgliedern wahrgenommen, ihre Meinung offen zu sagen. Die Stile oder Verhaltensmuster, die Psychological Safety am stärksten fördern, sind in erster Linie Selbstverwirklichung, zweitens Verhaltensmuster des Stils Menschlichkeit-Motivation und drittens Verhaltensmuster aus dem Stil Kontaktfreudigkeit. Es stimmt wiederum, dass ein gewisses Maß an psychologischer Sicherheit vorhanden sein muss, um Verhaltensweisen aus dem Stil Selbstverwirklichung zu zeigen, wie z. B. zu experimentieren, einzigartig zu sein und innovative Ideen zu äußern. Die zwischenmenschlichen Konstruktiven Stile (Menschlichkeit-Motivation und Kontaktfreudigkeit) fördern ebenfalls gesunde zwischenmenschliche Verhaltensweisen wie gegenseitiges Zuhören und gegenseitige Ermutigung, die wiederum mit psychologischer Sicherheit in Zusammenhang stehen.

Auch wenn Organisationen Psychological Safety in ihrer Kultur verankern wollen, schaffen sie manchmal – meist unbewusst – Muster, die diese Sicherheit beeinträchtigen. Die für die psychologische Sicherheit ungünstigsten Stile sind die Passiv/Defensiven Stile – Konvention, Abhängigkeit und Ausweichverhalten. Einige Fragen aus dem OCI®-Fragebogen, die als kontraproduktiv identifiziert werden können, gehören zum Stil Konvention, der eine besonders starke negative Auswirkung auf die psychologische Sicherheit in einer Organisation hatte sind: „Vorgesetzten nie herausfordernd zu begegnen“, „Ziele zu akzeptieren, ohne sie zu hinterfragen“ und „anderen gut zu folgen“. Im Aggressiv/Defensiven Cluster finden wir auch einige Fragen, die sich sehr negativ darauf auswirken, ob ein Arbeitsplatz als psychologisch sicherer Ort wahrgenommen wird, wie z. B. „nie Fehler zu machen“, „gegen andere zu gewinnen“ oder „nach Fehlern zu suchen“. Das Bestimmen dieser Verhaltensweisen wird einer Organisation dabei helfen zu verstehen, warum die psychologische Sicherheit nicht so ist, wie sie sein sollte, und welche Verhaltensweisen gefördert werden müssen, um die Situation zu verbessern.

Wie kann man eine Konstruktive Kultur schaffen uns dadurch positive Verhaltensmuster stärken?

Werfen wir noch einmal einen Blick auf unser How Culture Works-Modell [Link] und die Faktoren des Orga, die zeigen, wie die Organisation strukturiert ist und wie diese strukturellen Faktoren die Kultur der Organisation beeinflussen. Nehmen wir das Beispiel eines Fehlers im Team, der Ihnen vorgeworfen wird. Dies steht in engem Zusammenhang mit den Aspekten, die wir als Feedback-, Beurteilungs- und Verstärkungssysteme bezeichnen, welches wiederum Klimafaktoren sind, die zu bestimmten Verhaltensmustern führen können. Wenn Sie einen Fehler machen oder Erwartungen nicht erfüllen, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie irgendwelche Konsequenzen zu spüren bekommen. Wir fragen auch nach positiver Verstärkung. Wenn Sie die Erwartungen übertreffen, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies jemandem auffällt und Sie dafür Anerkennung erhalten?  Dieser Aspekt des Gleichgewichts zwischen negativem und positivem Feedback hat einen sehr vorhersehbaren Einfluss auf die Kultur, die Sie innerhalb der Organisation erwarten können.

Das bedeutet im Kern…

Wenn Sie einen Arbeitsplatz schaffen wollen, der von Psychological Safety geprägt ist, müssen Sie eine Konstruktive Kultur schaffen, in der die Stile Selbstverwirklichung, Menschlichkeit-Motivation und Kontaktfreudigkeit vorherrschen. Sie müssen jedoch darauf achten, dass isolierte Maßnahmen, z. B. mehr positives Feedback zu geben, zu einer Enttäuschung führen können. Um eine wirklich Veränderung in Richtung der gewünschten Resultate zu erreichen, ist es unerlässlich, an der Schaffung eines Konstruktiveren Arbeitsumfelds in Form einer Konstruktiveren Kultur zu arbeiten. Nur so kann die Wahrnehmung verändert werden, ob ein Arbeitsplatz von Psychological Safety geprägt ist. Sie müssen sich alle 31 Klimafaktoren ansehen, um zu verstehen, wo Sie den Hebel ansetzen müssen. Um die Resultate zu verändern, muss man die Kultur verstehen, und um die Kultur zu verändern, muss man die im Klima verankerten Kausalfaktoren verstehen.


[1] Schein, Edgar H.; Bennis, Warren G. (1965). Personal and organizational change through group methods: the laboratory approach. New York: Wiley.

[2] Kahn, William A. (1990-12-01). „Psychological Conditions of Personal Engagement and Disengagement at Work“Academy of Management Journal33 (4): 692–724.

[3] Edmondson, Amy (1 June 1999). „Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams“ (PDF). Administrative Science Quarterly44 (2): 350–383.